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Bei der Krise des Unternehmens und seiner Sanierung sind nicht nur rein finanzielle und wirtschaftliche Aspekte zu beachten. Deshalb kann ein Sanierungskonzept auch nicht auf den Rechenstift, also auf reine finanzielle und wirtschaftliche Berechnungen, reduziert werden. Mit der Krise des Unternehmens sind zahlreiche soziale, traditionelle und psychologische Aspekte der von der Krise des Unternehmens Betroffenen verbunden. Ein Sanierungskonzept hat diese nichtmonetären und nichtökonomischen Grundlagen und Werte mit zu berücksichtigten. Ein Sanierungskonzept muss daher auf der Grundlage einer gesamtheitlichen Betrachtung der Problematik erfolgen.
Auch die Angst vor der Insolvenz und ihren weiteren Folgen bringt viele kleine und mittlere Unternehmen und ihre Inhaber bzw. Gesellschafter dazu, fast blind ein bei objektiver Betrachtung wenig aussichtsreiches Sanierungskonzept durchzuführen oder eine neue Sicherheit für die Vermeidung einer Kreditkündigung zu stellen, nur um den Zusammenbruch des Unternehmens zu vermeiden.
Max Bartels war Außendienstmitarbeiter eines Unternehmens, das Fertigprodukte wie z.B. Körbchen, Vasen und andere Geschenkartikel an Gärtnereibetriebe verkauft. Er träumte stets von einem eigenen kleinen Unternehmen, das er mit seiner Ehefrau und seinen drei erwachsenen Kindern betreibt. Im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit teilte ihm ein Kunde seines Unternehmens, den er regelmäßig besuchte, mit, dass er seine Gärtnerei aus Altersgründen verkaufen möchte, und fragte Max Bartels, ob er denn nicht einen Käufer kenne. Der Kunde betrieb eine Gärtnerei auf einem gepachteten Grundstück mit angeschlossenem Verkaufsladen.
Der Traum vom eigenen Unternehmen
Max Bartels sah dies als Chance an, seinen Traum vom eigenen Familienunternehmen zu verwirklichen. Er erwarb die Gärtnerei, kündigte sein Angestelltenverhältnis bei seinem Arbeitgeber und schloss einen Pachtvertrag für das Gärtnereigrundstück und für das Ladengeschäft. Die Einrichtung des Ladens und der Gärtnerei und den Warenbestand erwarb er zu einem Preis von 400.000 €, den er über die örtliche Sparkasse finanzierte. Im Rahmen eines Existenzgründerprogramms wurde die Sparkasse mit einer staatlichen Bürgschaft über einen Betrag von 100.000 € abgesichert. Für den Restbetrag von 300.000 € verlangte die Sparkasse die Mithaftung der Ehefrau und je eine Bürgschaft der drei Kinder in Höhe von 50.000 €.
Die Gärtnerei wurde als Einzelunternehmen von Max Bartels geführt. Seine Ehefrau und seine drei Kinder wurden bei ihm angestellt. Sie wohnten in der Nähe der Gärtnerei in einem kleinen Einfamilienhaus, das den Eheleuten Bartels gemeinsam gehörte. Die Schulden auf dem Haus waren fast abbezahlt.
Anfangs ging alles gut. Der Geschäftsbetrieb entwickelte sich und machte Gewinne, die ein erträgliches Auskommen gewährleisteten. Große Sprünge konnte man aber nicht machen, was man aber ohnehin nicht beabsichtigte. Nach fünf Jahren war die Gärtnerei in finanzielle Schwierigkeiten gekommen, weil in der Nähe eine andere und größere Gärtnerei ihren Geschäftsbetrieb eröffnete. Gewinne wurden keine mehr erzielt. Um die laufenden Kosten decken zu können, wurden die Löhne für die Familienmitglieder reduziert. Max Bartels arbeitete ohne Vergütung. Man war weiterhin zuversichtlich, weil man das Produktsortiment von der neuen Konkurrenz zunehmend abgrenzen konnte und die Kunden langsam wieder zurückkehrten, denn die Beratung und Betreuung bei Max Bartels war besser, als in der anonymen Großgärtnerei.
Konkurrenz durch Einzelhandelsketten
Um die Durststrecke weiter überwinden zu können, wurde die Sparkasse gebeten, die Tilgungsanteile bei den laufenden Annuitäten für eine gewisse Zeit auszusetzen. Die Sparkasse verweigerte dies und drohte die Kreditkündigung und die Durchführung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen an, wenn sich bei den Annuitäten Rückstände von mehr als zwei Monatsraten ergeben würden. Um die Raten an die Sparkasse zahlen zu können, wurden Zahlungen an die Lieferanten, Umsatzsteuerzahlungen an das Finanzamt und Zahlungen für Sozialversicherungsbeiträge immer mehr hinausgeschoben. Alsbald erfolgten die ersten Zwangsvollstreckungen von diesen Gläubigern.
Nachbesicherung der Sparkasse kurz vor dem Zusammenbruch
Wiederum bemühte sich Max Bartels bei der Sparkasse um Erleichterung. Er bat um Aussetzung der Annuitäten für einige Monate. Die Sparkasse sagte ihm dies nunmehr unter der Voraussetzung zu, dass er und seine Ehefrau ihr eine Grundschuld auf dem gemeinsamen Eigenheim einräumten und dass die Ansprüche aus einer Lebensversicherung an sie abgetreten werden, die bislang zur Absicherung der Ehefrau für das Alter diente. Max Bartels sah keine Chance, dem etwas entgegen zu setzen. Zu diesem Zeitpunkt war bereits deutlich erkennbar, dass die Gärtnerei kaum eine Fortsetzungschance mehr hatte, weil das Unternehmen im Wettbewerb immer weiter zurückfiel und der Liquiditätsentzug schon zu lange angehalten hatte, so dass eine Neustrukturierung des Ladens nicht mehr finanzierbar war. Trotzdem akzeptierten er und seine Ehefrau die Bedingungen und räumten die zusätzlichen Sicherheiten ein. Drei Monate später stellte Max Bartels Insolvenzantrag.
Die Sparkasse kündigte die an sie abgetretene Lebensversicherung, versteigerte das Eigenheim der Familie und forderte Ehefrau und Kinder auf, die Mithaftungen und die Bürgschaften einzulösen. Die gesamte Familie stand vor dem Ruin. Sie suchte sich eine kleine Mietwohnung ein paar Orte weiter und zog um. Max Bartels beantragte staatliche Unterstützung. Die Tatsache, dass die Ehefrau und die Kinder bei ihm angestellt waren, erwies sich nun als Glücksfall, da diese nunmehr Arbeitslosengeld bezogen. Da aber der Verdienst sehr gering war, lag das Arbeitslosengeld gerade einmal an der Pfändungsgrenze. Dennoch versuchte die Sparkasse, mit Vollstreckungen und der Abgabe von eidesstattlichen Versicherungen über die Vermögensverhältnisse zu erkunden, ob sich doch noch irgendwo ein kleiner Geldbetrag finden lassen würde, der gepfändet werden könnte. Dadurch wurden die Ehefrau und die Kinder stigmatisiert, indem sie im Schuldnerverzeichnis eingetragen waren und ihr anderweitiges Fortkommen erheblich beeinträchtigt wurde. Sie verloren ihr Bankkonto und mussten sich ihren Lohn bar auszahlen lassen. Erst mit viel Glück konnte eine teure und schlechte Mietwohnung angemietet werden, weil zuvor alle Vermieter den Abschluss eines Mietvertrags abgelehnt hatten, nachdem Ehefrau und Kinder die eidesstattliche Versicherung über ihre Vermögensverhältnisse abgegeben hatten und diese darum bangten, ihre Miete nicht bezahlt zu bekommen, wenn sie einen Mietvertrag abschließen würden. Ehefrau und Kinder wurden dadurch zu Menschen zweiter Klasse herabgewürdigt.
Vollstreckungen als traumatische Erschütterung
Max Bartels war durch diese Situation, in die er seine Familienmitglieder gebracht hatte, persönlich gebrochen. Die ständigen Besuche des Gerichtsvollziehers entwickelten sich zudem zu einem Trauma. Er konnte nicht mehr ruhig schlafen und jedes Mal, wenn es an der Wohnungstür läutete, hatte er Angst, dies könnte wieder der Gerichtsvollzieher sein. Ferner wollten seine Familie und er, dass in der neuen Mietwohnung ein Neuanfang möglich sei und dass der Umzug einen Vorhang zur negativen Vergangenheit darstellt. Aber es sprach sich schnell herum, dass die Familie als Unternehmer gescheitert war und ein Sozialfall wurde. Sie wurde von der Nachbarschaft geächtet und mit diversen Reaktionen herabgewürdigt.
Max Bartels machte sich erhebliche Vorwürfe insbesondere deshalb, dass er die gesamte Familie mit seinem Wunsch zur Selbständigkeit in diese Problematik hineingezogen hat. Er, der früher immer sehr lebenslustig war, zog sich immer mehr zurück und wurde apathisch. Kurze Zeit später erkrankte er schwer und starb, was die Ärzte auf den verloren gegangenen Lebensmut zurückführten.
Die Art und Weise und die Heftigkeit der persönlichen Konflikte, die eine Unternehmenskrise mit sich bringt, und der Umgang mit diesen Konflikten ist in der Regel entscheidend dafür, ob eine Sanierung des Unternehmens überhaupt gelingt und wenn sie gelingt, wie gut sie gelingt und ob sie von Dauer ist. Nur dann, wenn man die sozialen und psychologischen Aspekte, in die eine Unternehmenskrise eingebettet ist, erforscht und in das Sanierungskonzept integriert, wird eine erfolgreiche Unternehmenssanierung und eine dauerhaft stabile Unternehmensentwicklung möglich sein. Wenn der Mut des Unternehmers und die Zuversicht in seine Fähigkeiten gebrochen sind, wird er aus seinen bisherigen Fehlern nicht mehr lernen können, weil er es nicht mehr versucht, einen Neustart zu wagen. In diesem Falle stellt sich die Frage, wer die Führung des sanierten Unternehmens mit frischem Elan fortsetzen könnte. Die Suche nach dieser Führungskraft wird oftmals nicht leicht sein, zumal viele fähige Personen Angst davor haben, das gleiche Schicksal zu erleiden wie der bisherige Unternehmer. Oftmals scheitern sanierungswürdige Unternehmen daran, weil eine Unternehmensführung nicht im ausreichenden Maße ermöglicht werden kann.