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Arbeitsunfall eines mittelständischen Unternehmers

Mitte der 80er Jahre übernahm ich den Auftrag eines mittelständischen Unternehmers eines Installationsbetriebs mit ca. 60 Mitarbeitern, der bei seiner Tätigkeit schwer verunglückte. Er stolperte in einem Rohbau, fiel die Treppe hinunter und zog sich eine Gehirnquetschung zu. 

Infolge seiner Verletzungen konnte er sich kaum mehr um seinen Betrieb kümmern. Dieser wurde insolvent, seine Immobilien kamen zur Zwangsversteigerung und seine Ehefrau wurde von den Banken als Bürgin in Höhe mehrerer DM 100.000 in Anspruch genommen. Jedoch war der Unternehmer bei verschiedenen Versicherungsgesellschaften gut versichert, die aber allesamt Zahlung verweigerten.

Erst mit mühsamen Prozessen konnte ich erreichen, dass die Versicherungsleistungen ausbezahlt wurden. Der Unternehmer war erwerbsunfähig und von der Berufsgenossenschaft wurde eine Unfallrente bezahlt. Die Ehefrau kam aus den Bürgschaften frei, nachdem die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes immer mehr zugunsten von Bürgen entschied. Danach wurden Bürgschaften, die den  Bürgen krass überforderten, wegen Sittenwidrigkeit als unwirksam erklärt.

Nach allmählicher Genesung des Unternehmers konnte eine neue wirtschaftliche Grundlage für die Familie geschaffen werden. Die Kraft, die der ehemalige Unternehmer für seinen langwierigen und schwierigen Weg aufbrachte, kam vor allem aus dem Zusammenhalt der Familie. Trotz des schwierigen Weges, den die Familie hinter sich gebracht hatte, siegte die Menschlichkeit und die Freude am Leben.

Aber die Belastungsfähigkeit der Familie sollte vom Schicksal noch einmal getestet werden. Denn der Sohn meines Mandanten wurde als Radfahrer von einem Lastwagen übersehen und überfahren und schwer verletzt. Er überlebte, war aber von nun an nicht mehr voll arbeitsfähig. Nunmehr mussten Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen die Haftpflichtversicherung geltend gemacht werden, was sich über mehrere Jahre hinstreckte, weil die Versicherung erst den Genesungsverlauf abwarten wollte, um nicht unerhebliche Rentenzahlungen einsparen zu können.

Auch dieser Schicksalsschlag vermochte es nicht, meinen Mandanten und seine Familie aus der Bahn zu werfen.

Die Bearbeitung dieser Angelegenheit dauerte nahezu zwanzig Jahre.

Anmerkungen:
Diese Fall war ein eindrucksvolles Beispiel für die hohe Belastungsfähigkeit von Menschen. Trotz zahlreicher Schicksalsschläge war die Familie glücklich und zwar wesentlich glücklicher als viele Familien, bei denen keine Schicksalsschläge zu verzeichnen sind. Der Fall war aber auch ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass eine solche Belastungsfähigkeit dadurch bedingt ist, dass die familiären Bande trotz aller Schwierigkeiten intakt geblieben sind und durch die Schicksalsgemeinschaft eher noch gefestigt wurden.

Das Beispiel zeigt aber auch eine moralisch bedenkliche Struktur der Versicherungs- und Bankenlandschaft und steht daher als Beispiel für eine Vielzahl von solchen Handlungsweisen. Kommt es aus der Sicht einer Versicherungsgesellschaft zur Gefahr einer erheblichen Versicherungsleistung, so wird erst einmal mit der Methode der Stärke gearbeitet. Um Geld zu sparen, werden Versicherungsleistungen abgelehnt, weil viele Kunden ihre Rechte dann nicht oder nur unzureichend ausnutzen. Der hier vorliegende Fall war einer der seltenen Fälle, in denen der Kunde um sein Recht kämpfte. Er war bei mehr als fünf Versicherungsgesellschaften versichert und alle lehnten die Zahlung ab. Gegen alle Versicherungsgesellschaften wurde geklagt und alle Versicherungsgesellschaften verloren den Rechtsstreit. Dies zeigt die Janusköpfigkeit des Versicherungssystems. Zum Zwecke der Akquisition der Versicherung ist das freundliche Gesicht des Januskopfes zuständig. Kommt es dann zum Versicherungsfall geht die Kompetenz auf den unfreundlichen Teil des Januskopfes zurück.

Gleiches gilt für das Bankgewerbe. Die Forderung von sittenwidrigen Bürgschaften von Ehefrauen für den unternehmerischen Ehegatten war in den 80er Jahren üblich. Moralische Bedenken hatten die Banken nicht. Sie hatten auch keine moralischen Bedenken, diese sittenwidrigen Bürgschaften auch dann gegen die Ehefrau geltend zu machen, wenn der Ehemann, wie hier, einen schweren Arbeitsunfall hat, die Versicherungsgesellschaften Zahlung verweigern und das Unternehmen dadurch insolvent wird. Menschen haben für Banken keine Bedeutung. Es geht nur ums Geld.

Der Normalfall ist bei einer solchen Situation, dass die betroffenen Menschen nicht kämpfen und sich selbst aufgeben, und zwar über Depressionen, Alkohol oder Selbstmord. Aber, und dies zeigt dieses Beispiel, dass es auch andere Wege gibt, diese Situation gut durchzustehen und weiterhin glücklich zu sein. Eine solche Möglichkeit der Konfliktbewältigung ist aber auch notwendig, um den langen Prozess, bis man zu seinem Recht kommt, auch unbeschadet durchstehen zu können.

Günter Seefelder