Der Betriebserwerb aus der Insolvenz
Die Regelung des § 613a BGB findet auf einen Betriebsübergang während eines eröffneten Insolvenzverfahrens nur in modifizierter Weise Anwendung. Der Erwerber des Betriebs haftet nämlich nach ständiger Rechtsprechung des BAG nicht für Ansprüche der Arbeitnehmer, die vor dem Betriebsübergang entstanden sind (BAG vom 20.06.2002, 8 AZR 459/01). Andernfalls wären die Arbeitnehmer mit ihren insolvenzrechtlichen Ansprüchen bis zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung anderen Gläubigern gegenüber bevorzugt, indem sie im Falle eines Betriebsübergangs ihre vollen Ansprüche gegen den Erwerber realisieren könnten. Und diesen Vorteil müssten in der Regel die anderen Gläubiger tragen, weil der Erwerber je nach Höhe der zu übernehmenden Verpflichtungen aus den Arbeitsverhältnissen den Kaufpreis entsprechend reduzieren würde.
Maßgeblich für die Zäsur der Haftungsaufteilung ist die Verfahrenseröffnung. Die Modifizierungen des § 613a BGB gelten nämlich nicht, wenn der Betrieb oder Betriebsteil vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens übernommen wird. Insbesondere kommen diese Haftungserleichterungen des Erwerbers auch dann nicht zur Anwendung, wenn der Betrieb oder Betriebsteil in der Phase des Insolvenzeröffnungsverfahrens, beispielsweise aufgrund einer Vereinbarung mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter übernommen wird. Diese Modifizierungen des § 613a BGB gelten daher auch dann nicht, wenn der Betrieb oder Betriebsteil übernommen wird, nachdem der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt wurde.
Besondere Vorsicht ist im Hinblick auf die Regelungen des § 613a BGB angesagt, wenn der Erwerber eines Betriebs oder Betriebsteils bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Einfluss auf die Geschicke des Betriebs oder Betriebsteils nimmt, um diesen dann mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu übernehmen. Denn ein Betriebsübergang liegt bereits dann vor, wenn der Erwerber die betriebliche Leitungs- und Organisationsmacht tatsächlich ausübt. Auf die Vereinbarung selbst und auf den Zeitpunkt des Abschlusses kommt es dann nicht an. Der Erwer-ber kann dadurch die Haftungsbeschränkungen bei der Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils verlieren, wenn er zu unvorsichtig ist. Wird der Betrieb oder Betriebsteil nicht zeitgleich zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern zu einem späteren Zeitpunkt übernommen, so haftet der Erwerber für eventuell offene Verbindlichkeiten des insolventen Unternehmens aus den Arbeitsverhältnissen für die Zeit ab der Verfahrenseröffnung. In der Regel haftet für diese Ansprüche aber auch die Insolvenzmasse, andernfalls solche durch die Auffanggesellschaft übernommenen Verbindlichkeiten bei der Kaufpreisbemessung Berücksichtigung finden wird.
Der Erwerber eines Betriebs oder Betriebsteils ist mit zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht erfüllten Urlaubsansprüchen der Arbeitnehmer belastet.
Der Betriebserwerber tritt im Hinblick auf die betriebliche Altersversorgung zwar grundsätzlich in die gegenüber den übergehenden Arbeitnehmern erteilten Versorgungszusagen ein. Allerdings schuldet er im Versorgungsfall nur eine Versorgungsleistung, die sich aus den seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erdienten Versorgungsanwartschaften ergibt. Für die beim Veräußerer bis zur Eröffnung des Insol-venzverfahrens erdienten unverfallbaren Anwartschaften haftet gemäß § 7 ff. BetrAVG grundsätzlich der Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) als Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung.
Für den Erwerber eines Betriebs oder Betriebsteils macht es keinen Unterschied, ob zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Anwartschaften der übergegangenen Arbeitnehmer aus einer betrieblichen Altersversorgung verfallbar waren oder nicht, weil dieses Risiko die Arbeitnehmer selbst tragen. Denn nur dann, wenn ihre Versorgungsanwartschaften zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unverfallbar waren, haftet der Pensionssicherungsverein zeitanteilig für die beim bisherigen Betriebsinhaber erdienten Versorgungsleistungen. Waren die Anwartschaften noch nicht unverfallbar, so hat der Arbeitnehmer diese Ansprüche zur Insolvenztabelle anzumelden und trägt das entsprechende Ausfallsrisiko.
weitere Links:
==> eBook „Betriebserwerb durch Auffanggesellschaft
==> Der Betriebserwerb aus der Insolvenz
==> Auffanggesellschaft versus Insolvenzplanverfahren
==> Neustrukturierung der Inhaberschaft